22. August 2024
Der Druck lastet gross, den bislang längsten und umfangreichsten Blogpost unserer Radreise zu verfassen, denn zwischenzeitlich sind die Ereignisse und Neuigkeiten beinahe ins Unendliche gestiegen.
An dieser Stelle müssen als Einführung zu China auch keine Gesprächsausschnitte mit Einheimischen eingeführt werden, denn das Kommunizieren ist schlichtweg unmöglich. Wir beherrschen die Wörter ‘Danke’, ‘Hallo’ ‘Wie geht’s’, ‘Österreich’ sowie ‘Schweiz’, obwohl sie bei Letzterem nur komisch schauen und wir schlussendlich beide als Österreicher durchgehen.
Gehen wir aber nun zurück nach Kirgisistan, das Land, von welchem wir Zuhause vor unserer Abreise am meisten geträumt und uns gefreut haben. Aber manchmal, wenn die Erwartungen hoch sind, ist es die Enttäuschung ebenso. Die weniger nette Begegnung mit Kirgisen an der Grenze hat sich während der kommenden Zeit im Lande immer wieder bestätigt. Freundlichkeit war nicht immer so ihr Ding. Eigentlich wollten wir einen grossen Teil des Landes mit einem Auto erkunden, die anderen drei mit dem Fahrrad direkt nach Kashgar. Wir verlängerten noch eine Nacht in Sary-Tash, in welcher auch, intus einiger Biere und Wodka, ein gemeinsamer Plan geschmiedet wurde. Wir reisen gemeinsam per Autostopp nach Osh, feiern dort die Genurtstage von Jean und David, essen Pizza, Pommes und Burger, denn, wo hatten wir dies zuletzt (die Pizza im Iran kann kaum dazugezählt werden…). Anschliessend gehts zurück nach Sary-Tash und gemeinsam nach Kashgar. Was auch immer uns dazu bewegte, unsere Pläne derartig über den Haufen zu schmeissen, wir bereuen es bis jetzt nicht. Wir konnten sowieso kein Mietauto finden, weil alle ausgebucht waren und die Lust auf Kirgisistan nach allen Stan-Ländern war doch nicht mehr so gross.
Am übernächsten Morgen ging es, gestärkt mit Frühstück aus dem Restaurant, in welchem wir 2-3 Mal täglich spiessen, an den Strassenrand. Wir fanden ziemlich schnell Fahrzeuge, welche uns mitnahmen, immer mit der Enttscheidung: Langsamer Truck, welcher sich über die Gesellschaft freut, oder schneller Kleinwagen, welcher um Geld fragt. Das Autostopprennen gewannen David und Noé, gefolgt von Flavia, Jean und Charles. In Osh angekommen ging es direkt zu KFC. Das Betreten fühlte sich an wie der Eingang zu einer andern Welt, es war alles wie Zuhause, auch die Burger waren letztendlich nicht besser… Aber Hauptsache Burger und Pommes. Wir mieteten uns eine Wohnung, genossen das gemeinsame Biertrinken, Netflix schauen und die wohl beste Burrattapizza in ganz Osh (mehrmals)! Eines Abends wollten wir einen Club aufsuchen, um in den Geburtstag von David zu feiern. Um 00:00 des 13. August befanden wir uns auf einer Überführung, begannen zu singen und genossen einen ‘Apéro’ mit Käse, Chips und Knoblibrot. Plötzlich kamen Walnüsse vom Himmel geflogen. Wir staunten nicht schlecht, freuten uns zuerst, passte perfekt zum Käse. Dann wurden es mehr, sie wurden aus einem Zimmer über uns im 20. Stockwerk geworfen, dann folgten Äpfel. Die Provokation der jungen Herren liessen wir nicht einfach so an uns vorbei gehen. Dann gingen wir aber weiter Richtung Club. Bald darauf wurden wir von einem der jungen Kirgisen verfolgt. Er sprach kein Englisch, sprach kurz auf uns ein und verteilte sogleich die erste Faust ins Gesicht von Charles. Wir waren alle geschockt, versuchten weiter zu gehen, es folgte eine zweite Faust. Er hielt an, wir gingen weiter. Doch das wars noch nicht, er kam zurück, mit Verstärkung. Die Sache wurde noch unangenehmer, er war agressiv, und seiner Schlagtechnik entsprechend war er ein professioneller Kampfsportler. Wir versuchten mit ihm und seinem Freund zu reden, sie verstanden uns nicht, wir sie nicht. Dann ging er auf Charles zu, Faust #3. Noé wollte dazwischen gehen, bekam einen festen Schlag auf die Schulter. Dann versuchte David erneut das Gespräch zu suchen. Ein Kick ins Knie und er lag auf dem Boden. Flavia, die als einzige Frau nicht angefasst bzw. geschlagen wurde, zerriss es das Herz, David so zu sehen. Sie begann aus Wut und Angst auf ihn einzuschreien, weinte und gab ihm einen Kick ins Bein (leider nicht so wirksam wie derjenige des Angreifers). Er schaute sie an, zögerte und es passierte nichts. Ein Freund kam und zog ihn nach Hause. Der andere Freund zeigte sich alleine plötzlich nett und entschuldigte sich. Wir suchten schnellstmöglich einen anderen Nachhauseweg, Partynacht war vorüber und David’s Geburtstag wird hoffentlich nie wieder so beginnen.
Bald ging es per Autostopp zurück ins 200km entfernte Sary-Tash und von dort aus auf direktem Wege zur Grenze Chinas, welche nur Mo-Fr geöffnet hat. Die Landschaft, welche wir von Kirgisistan noch sehen durften, war traumhaft! Grosse Weiden mit Kühen, Pferden, Ziegen, Hühner, alles lief frei herum, ab und zu war eine Yurte mit Familie zu sehen.
80km später standen wir am Freitagmorgen an der chinesischen Grenze bereit. Es verlief schneller und problemloser als erwartet. Die uns angepriesene Kontrolle jeder Fahrradtasche fand nicht statt, alles wurde gescannt, das wars. Dann wurden uns etwas ungewöhliche Fragen über die Beziehungen unter uns Reisenden gestellt, aber bald darauf hatten alle den Stempel für die 15-Tage visafrei im Pass und sassen bereits im nächsten Restaurant. Endlich wieder gutes Essen, wenn man die westlichen Leckereien in Osh wegzählt. Denn, wer eine kulinarische Reise unternehmen möchte, macht am besten einen weiten Bogen um Zentralasien. Die ersten Kilometer in China fühlten sich gut an. Wir kamen ins erste Dorf und suchten gleich den Supermarkt auf. Wir fühlten uns wie in einer Wundertüte. Produkte, welche für uns total unbekannt und dazu komplett unverständlich sind. Ein vakumierter Pouletflügel oder ein gekochtes Ei, essbereit, neben weiteren nicht so einfach identifizierbaren Tierprodukten. Alles ungekühlt. Wir suchten uns einige Süssspeisen und probierten die für uns neuen Süssgetränke. Dann begann ein Polizist mit uns zu sprechen und erzählte uns vom Gratis-Camping auf dem Polizeigelände. Es gab Toiletten sowie den Standard-Wasserautomaten mit kaltem und heissem Trinkwasser. Verblüffend war die grosse Anzahl Chinesischer Reisenden, mit Auto und Zelt oder dem Camper. Wann hatten wir zuletzt einheimische Camper-Reisende gesehen? Wahrscheinlich in der Türkei. Hinzu kam, dass es schön war, die Ehepaare gemeinsam zu sehen, und zwar gemeinsam auf Augenhöhe agierend! Die Chinesen waren sehr interessiert an uns, unserem Benzinkocher und was sie sonst noch fanden. Sie brachten uns Kaffee und Sonnenblumenkernen, fragten um Fotos oder filmten und fotografierten ungefragt. Als wir gemeinsam am Abend vor dem Zelt sassen und David gerade etwas mit Nadel und Faden reparieren wollte, kam ein Herr und fragte um ein Foto. Wir willigten ein. Er gab einem anderen den Auftrag, das Foto zu machen. Wir beide sitzen auf dem Campingstühlen, er setzt sich vor unser Zelt auf den Boden. Und dies wurde dann reiherum so gemacht, bis alle – plötzlich viele – Anwesenden das Foto auf dem Zeltboden mit uns hatten. Dabei wurde unglaublich viel gelacht und gewitzelt. Die freudige Art gefiel uns sehr.
Am selben Abend erfolgte die erste Polizeikontrolle. Dies sei in dieser Region normal. Der Polizist scannte unsere Pässe und bekam sogleich alle Informationen, welche wir am Zoll mitteilten – inklusive Foto. Verblüffend! Dann wurde noch jeweils ein Foto aufgenommen und uns angeboten, in jeder unsicheren Lage die Polizei zu verständigen. Die Kontrolle war nicht erschreckend, waren wir uns ja vom Iran daran gewohnt.
Die herzliche und fröhlich witzige Art der Chinesen zeigte sich auch am nächsten Tag. Wir fuhren auf der Hauptstrasse Richtung Kashgar. Der Asphalt war nigelnagelneu! Auf sowas sind wir nicht einmal in der Schweiz gefahren. Wir haben den Moment einzukaufen verpasst, sodass uns für den Zmittag nur noch die tadschikischen Instantnoodles blieben, welche Flavia wohl kaum mehr riechen konnte. Sie hätte sogar lieber Kaiserschmarrn gegessen…
Am diesem Tag wurde uns so viel Wasser von Autofahrern geschenkt, zudem erhielten wir von einer Firmengruppe zusätzlich mehrere Kartonbecher mit Instantnoodles (und die chinesischen sind so viel besser). Als würde das nicht reichen, bekamen wir von einer reisenden Familie heisses Wasser und dazu Brot mit verschiedenen Belegmöglichkeiten, welche wir nicht richtig identifizieren konnten. Es war lecker aber unglaublich scharf! Am gleichen Abend hielten wir im nächsten Dorf, kauften das Nötigste ein und wurden gleichdarauf vom Restaurant nebenan zum Znacht eingeladen – hausgemachte chinesische Nudeln, ein Traum!
Wir machten zwei lange Taggesetappen, um Kashgar schnellstmöglich zu erreichen. Es war bereits Abend, wir hungrig und so gings schnell ins Restaurant. In diesem Restaurant assen wir auch die folgenden Tage und probierten uns durch ihr Angebot. Die Restaurants sind sehr erschwinglich. Eine grosse Portion Reis oder Nudeln mit frischem Gemüse und teilweise etwas Fleisch gibts zwischen 1.50-3€. Von Kashgar aus hiess das nächste Transportmittel ‘Zug’. Wir gingen am nächsten Tag auf den Bahnhof, stellten uns nach dem Securitycheck sehr lange in die Warteschlange, um dann zu erfahren, dass es keine Liegeplätze mehr gab. Resultat: Die erste Fahrt nach Ürümqi Stehplätze (Dauer: 15 Stunden – 1 Nacht), die zweite Fahrt nach Kunming Sitzplätze (Dauer: 38 Stunden – 2 Nächte). Die Fahrräder mussten wir separat aufgeben, in der Hoffnung, dass sie frühzeitig ankommen, um innerhalb unserer 15-Tagefrist ausreisen zu können. Die ca. fünf Stunden am Bahnhof raubten uns viel Energie.
Die restliche Zeit in Kashgar genossen wir in der Gruppe mit gutem Essen, langen Abenden, Bier, komischem Schnapps (wir verstehen ja nicht, was auf der Flasche steht), Stadtbesichtigung und das allerbeste; das Herumfahren mit den E-Scootern.
Dann kam der Tag der Zugfahrt… Um 18.30 Uhr verabschiedeten wir uns von den anderen drei, welche keine Tickets für diesen Zug bekommen konnten. 18.50 Uhr war Abfahrt. Alle stürmten in den Zug, versuchten vergeblich alle Köffer auf der Ablagefläche zu verstauen und Stehplatzpassagiere, wie wir es waren, einen freien Platz zu ergattern. Wenigstens bis zur nächsten Haltestelle. Einige stellten ihre Klappstühle im Gang auf, auch wir unseren Campingstuhl. Nachteil: Es liefen dauerhaft Personen vorbei, teilweise mit dickem Gepäck, sodass dauerhaftes Aufstehen, Stuhl heben, Absitzen angesagt war. Das Schlafen fand in kurzen Perioden statt: Sitzend auf dem Sitz, im Campingstuhl, auf dem Boden oder auch liegend (schliesslich hat die Kondukteurin am Abend den Boden nassen gefegt (für die SchweizerInnen unter euch ‘feucht aufgenommen’). Der Spassfaktor war nicht sehr hoch, die Erholung niedrig und David hatte zusätzlich mit einem eingeklemmten Nerv zu kämpfen. Dafür waren die Menschen sehr freundlich, hilfsbereit und herzlich. Die vielen Blicke, welche während der Fahrt auf uns ruhten, machten die ganze Angelegenheit aber nicht angenehmer.
Im Allgemeinen erleben wir die Menschen in China bislang als sehr positiv. Sie sind lustig, herzlich, grosszügig und einfach ‘herzig’, dazu aber auch schüchtern und dennoch laut. Im Zug ist es allen egal, wenn jemand den Film ohne Kopfhörer schaut, oder seine eigene Musik lautstark abspielen lässt. Sie entschuldigen sich auch nicht, wenn sie jemandem im Zug anrempeln (was keine Seltenheit war). Als die sportlichste Nation würden wir sie, ausgenommen die Olympiaathleten, auch nicht bezeichnen. Wir sitzen im Zuggang auf dem Boden, jemand kommt. Bei uns wäre die Lösung einfach: Füsse anheben und darübersteigen. Hier ist die Lösung: Keine Lösung, ein Ding der Unmöglichkeit. Als würden sie im Sportunterricht vor der grössten Herausforderung stehen, diese aber nicht bewältigen können. Das brauchen sie hier auch nicht, denn sie helfen einander gegenseitig und pflegen einen schönen und geduldigen Umgang untereinander. Dem Personal in Uniform wird gehorcht, nicht wiedersprochen. Aber eines ist sicher, während diesen 15 Tagen werden wir uns wohl kaum an das Herumgerotze gewöhnen!
Wir kamen gegen 10 Uhr müde in Ürümqi an. Dort war Umsteigen bzw. Abwarten des nächsten Zuges angesagt. Wir suchten uns in dieser riesigen Bahnhofshalle, welche einem Flughafen ähnelt, eine ruhige Ecke und schliefen etwas, liegend! Dann gabs Frühstück, dann wurde geschlafen, dann gabs Mittagessen in einem der unzähligen Restaurant. Zwischendurch durften wir uns von dieser Menschenmasse anstarren lassen. Was bei uns unanständig wäre, ist hier wohl normal, nur wir sind es eben nicht. Nach einem weiteren Nickerchen war es bereits Zeit, an Bord des nächsten Zuges zu gehen. In 36 Stunden und 42 Minuten einmal quer durch China. Wenigstens haben wir dieses Mal einen Sitzplatz… Es wird nicht länger und nicht kürzer gehen, denn die Züge hier sind sehr pünktlich!
Wir bedanken uns bei allen, welche sich die Zeit genommen haben, den gesamten Bericht zu lesen.
Mal sehen, was uns in Kunming erwartet. Falls die Fahrräder noch nicht eingetroffen sind, oder nicht bis Montag eintreffen, müssen wir wohl oder übel in einen nächsten Zug nach Hongkong steigen, um die 15 Tage zu erneuern. Ansonsten gehts direkt weiter nach Vietnam. China werden wir uns definitiv ein anderes Mal genauer ansehen kommen!
Hallo Flavia und David!
Ich habe euren letzten Blog nicht nur mit großem Interesse, sondern auch mit Sorge gelesen. Gott sei Dank seid ihr relativ gut durch Zentralasien gekommen.
Ich folge euch, seit ich den Artikel über euch in der VN gelesen habe.
Ganz ganz toll, dass ihr euch diese Auszeit nehmt.
Ich wünsche euch weiterhin viel Freude und Spass beim Radeln und kommt gesund in Singapur an.
Ganz liebe Grüße us am Ländle
Dorlies (auch a begeisterte Langstrecken-Radlerin)
Hallo Dorlies
Danke! Das werden wir machen. Schön, dass du uns verfolgst. 😊
Liebe Grüße
Flavia & David
Hallo Flavia und David,
wieder ein spannender Bericht – allerdings mit einer Wendung in Kirgistan, die schon überrascht. Wir hatten in dem Land nie Probleme, es war zwar nie überschwänglich aber auch nie kritisch. Wahrscheinlich das klassische kulturelle Missverständnis in Zusammenhang mit etwas Alkohol 🙂 Schade für euch, dass das den ganzen Eindruck versaut. Aber auch toll, wie ihr jede Situation meistert. Weiterhin good luck und ich bin gespannt auf eure nächsten Berichte. Es darf dann auch gerne etwas entspannter sein.
Liebe Grüße
Horst
Hallo Horst,
ja, das war wohl eine schlechte Kombination. Die Natur hat es auf jeden Fall nicht weniger schön gemacht! 😉
Danke!
Liebe Grüße
Flavia & David